FRIEDBERGER BURGFEST NR. 20
am 8.7.1995
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Naturbühne
Oregon
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Schloßbühne
Harold Baroudi
and Rock Caravan
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Holzbühne
Joint Venture
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Kinder
MOBS
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Gelände
Arthur
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Programm
Übersicht
mit Burgplan
Seite 6-7 |
Samstag, 8.Juli: 20. Friedberger Burgfest
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Uns küßt das Burgfestmännchen -- und wer küßt Dich?: Um 15
Uhr startet die Kultfete mit Power auf drei Bühnen |
12. Juni 1976 - ein Tag wie aus dem Bilder-
buch... ...
13.59 Uhr: Flimmernde Hitze, quellender
Asphalt, der Himmel verliert sich in der Unend-
lichkeit seines Blaus. Eine ganze Nation brütet,
und auch in dem kleinen Städtchen in der Bau-
region der Republik mit einer Kaiserstraße und
einer Burg, die von stolzer und bewegter Ver-
gangenheit kündet, schleicht sich ein Gefühl
ewigen Sommers ein, scheint der Traum von
der Leichtigkeit des Seins Realität zu gewinnen.
Daß gerade dieser Ort - umpolstert von Fel-,
dern, Wiesen und Auen, die von radioaktivem
Fallout eines fernen Atomkraftwerks und einge-
schleusten Genen deutscher Forschungsanstal-
ten noch nicht!" ahnen - nur wenige Augenblik-
ke später die Geburtsstätte eines bis dahin un-
bekannten Wesens sein könnte. Wer besitzt die
Kühnheit, dies für möglich zu halten?!
Doch die Weissagungen einiger Erleuchteter
werden wahr und die Schar derer, die festen
Glaubens sind, hat sich unter freiem Himmel
versammelt, der Geburt beizuwohnen. Seltsam
gekleidet, das Antlitz hinter langen Bärten und
Haaren verdeckt, stehen sie umgeben von histo-
rischen Gemäuern da, mit fiebrig glänzenden
Augen, hoffen und bangen, ob die Schöpfung
gelingt. |
Happy Hour -- beim Burgfest wird sie wörtlich genommen. Und nicht nur eine Stunde lang |
14 Uhr: Nichts ist zu sehen. nur ein kleines,
bestiefeltes Männchen, gnomenhaft mit wallen-
dem Haar, Federhut, Schellengürtel und einer
großen Laute bepackt, huscht schemenhaft
durch die Reihen, das Gebüsch, erklettert Bäu-
me und Zinnen, küßt die staunenden Betrachter
auf alle freiligenden Körperteile, umklammert
mit seinen kurzen Ärmchen - stöhnend und
geheimnisvolle Formeln stammelnd - den
wohlgeformten Adolfsturm und stürzt sich
schließlich erschöpft nieder, um dem satten Ra-
sen einen langen sehnsüchtigen Schmatz zu ver-
setzen, der ihn bis zum heutigen Tag grün wer-
den läßt. Nicht ohne ein noch immer unbezahl-
tes kühles Blondes mit auf den Weg zu nehmen,
mit einem dahin schmelzenden und nicht zu
übersetzenden »O Rama Rama Oooh« auf den
Lippen und einem engeIhaften Mona-Lisa-Lä-
cheln entschwindet das Männchen so schnell es
erschien, in die Sphären, die gemeinhin als hö-
her bezeichnet werden.
Verzückt von dem Geschehen, verharren die
Anwesenden gerührt in einem hypnotischen
Zustand, bis sie, von der quälenden Frage gepei-
nigt »Kann denn sein, was nichtsein kann?!« in
die von drei Dimensionen beherrschte Wirklich-
keit zurückgleiten.
Doch Ernüchterung kann kaum Platz greifen |
setzt doch nur wenige Wimpernschläge später
ein großes Pfeifen, Dröhnen, Quietschen, Wum-
mern und Hämmern ein, die Ankunft der sagen-
haften Wesenheit weithin zu verkünden.
Und tatsächlich! Die Nachricht wird vernom-
men! Noch am selbigen Tag machen sich Pilger
von nah und fern auf, zu huldigen und vor Ort
gemeinsam mit ihren seelenverwandten Brü-
dern und Schwestern in der Burg eine fest Ge-
meinschaft zu gründen (Künftig wird diese feste
Gemeinschaft in der Burg sich in zwei Zellen
aufteilen: Die Burgfest-(Arbeits-)Gemeinschaft
(Sektion I), die zur Aufgabe hat, die Mitglieder
von Sektion II (der Burgfest-Gemeinde) alljähr-
lich zu den gemeinsamen Kulthandlungen zu-
sammenzurufen beziehungsweise Mitglieder
von Sektion II davon zu überzeugen, Mitglieder
von Sektion I zu werden.
So füllt sich allmählich das weite Rund, bis
sich die Körper einander berühren und wie
elektrisiert von dem immer noch anhaltenden
Dröhnen und Donnern in Schwingungen gera-'
ten. In der aufkommenden Dunkelheit schießen
riesige Lichtkanonen ihr gleißendes Licht in
den Himmel, spielen sich unbeschreibliche Sze-
nen ab. Körper, unzählige, polyrhythmisch ra-
send, wogend, zappelnd, zuckend, schwebend,
trancehaft entrückt, kurz vor dem ganzheitii- |
chen Urknall; Verbrüderung, Verschwisterung,
Vereinigung, eingetaucht in schwüle Schweiß-
schwaden, süß und betäubend vom Duft blü-
hender Linden.
Doch plötzlich - die erste Stunde des neuen
Tages neigt sich ihrem Ende - verstummen die
sphärischen Klänge. Noch versucht ein vieltau-
sendstimmiger Chor beschwörend die wunder-
baren Klänge zurückzulocken - doch verge-
bens, auch die Zeremonienmeister sind macht-
los, das ekstatische Geschehen hat ein Ende.
Alle treten erschöpft, aber glücklich den Heim-
weg an, den seligen Wunsch im Herzen .tragend,
sich das Zeichen ihrer Verbundenheit und Zu-
gehörigkeit (den Einlaßstempel) im kommen-
den Jahr erneuern zu lassen und dann mit ein
wenig Glück wieder ein zärtliches Küßchen des
Burgfestmännchens (es darf auch das weibliche
Gegenstück sein) zu erhaschen;
Dieses zauberhafte Schauspiel soll sich nun
also schon zum zwanzigsten Male wiederholen.
Und wenn ihr Lust und auch ein wenig Mut
habt, dieser friedliebenden Gemeinschaft beizu-
treten, dann schaut vorbei am kommenden
Samstag, dem 8. Juli, in der Friedberger Burg.
Es ist ganz einfach: ein kleiner Stempel, ein
liebevoller Kuß der Muse, und ihr werdet schon
sehn!
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20 Jahre Chaos -- und immer noch ohne Theorie
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Burgfestmachers Gedankenlese: Vom »Fest für die Langhaarigen«
bis zum Friedberger Aushängeschild |
Die Burgfest-Macher und ihr vierbeiniger Helfer -- was soll da noch schiefgehn?
Selbstverwaltung. Kennt man ja. Mit viel Elan
starten. Und dann versanden, zerfallen, Miß-
wirtschaft. Etablierung.
Wir haben es in den zurückliegenden Jahren
selten am Reden über das Burgfest fehlen las-
sen; auch heuer soll diese Tradition nicht gebro-
chen werden. Zwanzig Jahre sind wohl aber
auch ein Anlaß für ein wenig Selbstreflexion.
1976 war ich sechs Jahre alt. Die Zeit, in der das
Burgfest entstand, ist für mich nicht mal vage
Erinnerung. Das sind Koteletten und Schlagho-
sen, heute wieder modern. Da war der deutsche
Herbst.
Dann kam Punk. Selbstverwaltung, selbstor-
ganisierte Häuser, Juz oder Feste wurden zu
jenen Zeiten schnell mit Chaos gleichgesetzt,
Langhaarige mit Bombenlegern. Heute sind Fi-
nanzautonomie und selbstverwaltete Etats der
Renner in der Verwaltung des fast bankrotten
Metropölchens, üben sich Manager in Urschrei-
therapie und hierarchiefreier Führung.
Das Burgfest habe sich soooo verändert, be-
komme ich mancherorts zu hören, und weil Ver-
änderung an sich ja nix Schlechtes ist, wird
auch mal hinzugefügt: "Zum Schlechteren!« Es
ist nicht leicht, darauf zu antworten. Die Ur-
sprünge des Festes, für das ich mich seit fünf |
Jahren engagiere, liegen im Dunklen. Abgese-
hen natürlich von Daten, »offiziellen« Rückblik-
ken, Anekdoten und Erzählungen. Was wollten
Friedberger Jugendliche 1975? Warum fanden
CREDITS
Obwohl nun das Friedberger Burgfest zu
einem Verein herangewachsen ist, läßt sich
solch eine Veranstaltung nicht allein von des-
sen Mitgliedern organisieren. Deshalb an die-
ser Stelle Dank an alle, die uns dabei gehol-
fen haben: Die Wetterauer Zeitung (Pro-
grammzeitung), die Anzeigenkunden der
Burgfest-Zeitung, die Stadt Friedberg und all
die anderen Behörden und Verwaltungen
(Genehmigungen und Unterstützung), unse-
re Geschäftspartner (Flexibilität und Ge-
duld), die Medien (Werbung), die Menschen
(Plakattouren, Ordnerdienste, und der ganze
Rest), die Künstlerinnen und Künstler, die
Bewohner der Burg, unsere Partner, Freun-
de, Freundinnen und Verwandten. Und an
alle, die wir im Zusammenhang mit dem Fest
genervt, aber hier noch nicht genannt haben. |
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sich auch 1980, 1985, 1990 immer wieder Men-
schen, um dieses Fest zu organisieren? Warum
mach' ich das eigentlich?
Es wäre schlimm, hätte sich das Burgfest
nicht verändert. Es hat sich - Organisation,
BesucherInnen, Technik, Wetter, Stimmung
und vieles mehr betreffend - ständig verändert.
Ich habe es erlebt und daran teilgenommen.
Besser. Schlechter. Stoff für Nächte voller Bier
und Diskussionen. Traditionen bilden sich, wer-
den gemocht und zu »Normalität«, werden kon-
serviert, werden konservativ? Die längste und
wichtigste Tradition bleibt aber die der Selbst-
verwaltung. Die Idee, seine Angelegenheiten
selbst in die Hände zu nehmen, sein Leben
selbst zu organisieren. Das nutzt sich ab, da
werden Fehler gemacht, da verknöchert man-
ches. Aber da ist auch immer wieder Platz für
Neues. Das Fest verändert sich. Das Fest verän-
dert sich zu wenig.
Wir haben Entwicklungen verschlafen. Gera-
de auch im musikalischen Bereich. Unsere
Kenntnisse und Interessen sind nicht gleichmä-
ßig verteilt, oft fehlte nur der Kontakt zu neuen
Ufern. Wir haben in den letzten Jahren Ände-
rungen versucht - zaghaft. Parallel dazu gab es
mal Finanzprobleme wegen Dauerregen, ein
brennendes Schloß, die Vereinsgründung in
diesem Jahr, verbunden mit enormen struktu-
rellen Veränderungen. Wir wünschen uns neue
Mitarbeiterinnen mit neuen Ideen. Für die näx-
ten zwanzig Feste.
Warum also mache ich das Burgfest? Weil es
Spaß macht, mit anderen zusammen eine Party
zu organisieren, die sich vom Fest für »langhaa-
'rige, dreckige DrogenkonsumentenInnen« zum
weithin akzeptierten Aushängeschild gewan-
delt hat. Das trotzdem noch genauso organisiert
wird. Auf dem sich viele Leute treffen und zu-
sammen feiern - mit den gleichen Mitteln. Nur
halt anders.
Fahrt ab! Amüsiert Euch! Lebt und macht die
Party!
Los jetzt, wird's bald? Martin
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