FRIEDBERGER BURGFEST NR. 15
am 7.7.1990
Es regnet - es regnet nicht - es regnet - es regnet nicht- es regnet - es regnet nicht- es regnet - es regnet nicht-
es regnet - es regnet nicht- es regnet - es regnet nicht- es regnet - es regnet nicht - Die Mauer ist weg, ein
Wirtschaftswunder droht und das Fest geht zum 15. Mal über die Bühnen der Friedberger Burg.
Verantwortlich für die von Jugendlichen organisierte Kulturveranstaltung zeichnet wieder der Stadtjugendring e.V., was
sicher insofern für euch von Interesse ist, als Ihr davon ausgehen könnt, daß bei einem evtl. erwirtschafteten Gewinn
dieser voll und ganz der politischen und kulturellen Jugendarbeit zugute kommt. Es geht uns aber nicht um den schnöden
Mammon, oder mit einem anderen Wort ausgedrückt "Gewinnmaximierung".
Veilmehr möchten wir auch diesmal wieder versuchen, ein für alle abwechslungsreiches Rock-, Jazz-, Folk-, Theater- und
Kabarettfest auf die Beine zu stellen, das neben Spaß und Unterhaltung auch einige Denkanstöße bietet.
Wir hoffen, daß es gelingt, und wir sehen uns am 7. Juli (wieder).
Bis dann, eure Arbeitsgemeinschaft Burgfest.
Es ist wieder soweit,
am Vorabend eines neuen Zeitalters eröffnen sich neue Perspektiven, alte Strukturen verschwinden und stille
Hoffnungen werden
Wirklichkeit - völlig überraschend.
Noch ist alles beim Alten.
Die Mauer ist weg, Trabbis und Ihre Fahrer/Innen dürfen raus, doch das Komplott der grauen Herrn hat längst
beschlossen,
wohin die Reise gehen soll: Wirtschaftswunder, Naturzerstörung, Gentechnologie - die Gleichschaltung von uns allen.
Aber es wird anders kommen als man(n) denkt...
7. 7.1990 - Hier und jetzt. Der Vollmond steht vor dem Sternbild Schütze und unsere kleine Sommerparty geht zum 15. Mal
über
die Bühnen der Friedberger Burg. Auch diesmal wieder eine (fast) nur von Männern inszenierte Veranstaltung. Warum
machen wir das? Warum organisieren wir mit einer Handvoll Leute jedes Jahr ein Fest für x-tausend Gäste? Die
angebliche Triebfeder "Gewinnstreben" scheidet als Motiv aus, denn wir verdienen ja nix. Arbeitssucht?
Übersteigertes Geltungsbedürfnis? Profilneurose?
Gibt es vielleicht für manche von uns im Umfeld des Festes eine/n oder mehrere, der/dem/denen wir unbedingt etwas
beweisen wollen? Und was das für eine Arbeit ist! Was bringt uns dazu, monatelang Zeit, Energie und Nerven in die
Vorbereitung dieses Spektakels zu stecken?
Das Friedberger Burgfest hat etwas Geheimnisvolles an sich. Es ist ein Phänomen - oft beschrieben, doch nie erklärt,
eine Erscheinung, die sich hartnäckig dem Zeitgeist von Kommerz und Anonymität widersetzt. Es ist die Summe all
dessen, was es für jede/n einzelne/n von uns darstellt, eine Art Spiegel, der unsere Vorstellung von leben zeigt - ein
Stück Gemeinsamkeit, ein Stück menschliche Wärme, in einer scheinbar immer kälter
werdenden Zeit. Doch wie gesagt, es wird anders kommen, als man(n) denkt...
Der "Spiegel "Burgfest zeigt uns, was war, was ist und - mit ein bißchen Fantasie - was auf uns zukommt. Ins
Haus steht das Zeitalter des Wassermanns - so heißt es. Aber vielleicht wird's ja auch das Zeitalter der Wasserfrau?
Wie wird das sein, wenn's so weit ist? Erwartet uns eine Welt der Nymphen, der Sphynxe oder Hexen? leitet die
Hohepriesterin den Lauf der Dinge oder reiten gar Amazonenheere über einstmals bewaldete Steppen? Ich geb's ja zu, ich
mag sie besonders, die Amazonen, die Widderfrauen, doch ihre Zeit liegt schon hinter uns. Malta und Gozo, Stonehenge und
Avebury - gigantische Zeugnisse blühender (Frauen)-Kulturen, die unsere Plastik-Männer-Welten aussehen lassen wie
langweilige Kinderspielplätze. "Amazonenreiche sind keine Mütter- sondern eher Töchterreiche, sie marschieren in
der Entwicklung matriarchalischer Ordnungen am äußersten linken Flügel" (R. Fester, Protokolle der Steinzeit).
Zurück zum Hier und jetzt.
Unsere mühsame Burgfestvorbereitung wäre um einiges leichter, wenn die Frauen der Szenerie uns etwas mehr
Unterstützung zukommen ließen, als das im Moment der Fall ist. Und wir fragen uns verzweifelt, woran das liegen
könnte. Etwa an uns? Vielleicht sollten wir das, was Frauen können und wissen, als etwas Schwesterliches sehen. Die
strafende Mutter und die fordernde Geliebte sind ungeeignete Lehrerinnen - da fällt bei uns die Klappe. Mit unseren
Schwestern sind wir gleich und somit bereit, uns auf neue, eigene Erfahrungen einzulassen. Und das sollten wir auch tun,
finde ich, denn rundherum sieht so einiges schon verdammt nach fünf vor zwölf aus.
Also Schwester, die Party ist für dich, sei keine Froschin und komm rüber mit dem, was du weißt und kannst, damit das
sinkende Schiff vielleicht doch noch die Kurve kriegt.
T. W. G.
Die Nachricht vom Brand am 13.6. im Friedberger
Schloß (Finanzamt) schockierte auch uns, da die
Durchführung des Burgfestes kurzfristig auf der
Kippe stand.
Es ist uns aber trotz aller Widrigkeiten und Wider-
stände gelungen, die Durchführung des Burgfestes
durchzusetzen.
Wie Ihr vielleicht im Verlauf des Tages feststellen
werdet, könnt Ihr nicht ganz bis zur Naturbühne
vordringen. Zu unserem Bedauern mußten wir auf
diesen wohl schönsten Teil des Festival-Geländes
wegen der bestehenden Einsturzgefahr des Schlo-
ßes verzichten.
Leider wird es diesmal etwas beengter zugehen,
als Ersatz für die Naturbühne haben wir eine Bühne
auf dem Gelände des Burggymnasiums eingerich-
tet. Auch die Schloßbühne mußten wir aus organi-
satorischen Gründen auf den Burghof verlegen.
Nur die Holzbühne hat sich dieses Jahr nicht
bewegt.
Aufgrund der Nähe der beiden Hofbühnen mußten
wir das Programm so umstellen, daß auf den
beiden großen Bühnen die Gruppen abwechselnd
spielen werden.
Bitte habt dafür Verständnis, daß die auftretenden
Künstler ihre Auftrittszeit von 1 1/2 Stunden inclu-
sive Zugaben nicht überschreiten können, da es
sonst den letzten Gruppen nicht mehr möglich sein
würde, aufzutreten.
Leider mußten wir aufgrund dessen der Friedber-
ger Musikschule absagen ( Näheres unter Musik-
schule Friedberg).
Wir hoffen, daß es trotzdem ein schönes Burgfest
wird, welches Eure Erwartungen erfüllt.
Diese außergewöhnliche Situation erfordert von
uns allen Disziplin. Nehmt also die Hinweise und
Absperrungen ernst und haltet Euch unbedingt
daran. Bei Zuwiderhandlung sind wir gezwungen,
einen Verweis vom Festivalgelände auszusprechen,
gegebenenfalls Anzeige zu erstatten.
Endlich: Die Jahre, in denen die Friedberger Jugend nach Schließung und Abriß des alten JUZ keinen Treffpunkt mehr
hatte, gehören bald der
Vergangenheit an. Kürzlich faßten sowohl Magistrat als auch Stadtverordnetenversammlung den Beschluß, ein neues JUZ
zu schaffen. Im Gespräch sind acht Objekte in Friedberg, die die Burgfest AG aufgrund ihrer guten Beziehungen zu
Insider-Kreisen hier erstmals der Offentlichkeit präsentiert. Wir fordern alle Interessierten auf, sich für eine
schnelle Verwirklichung einzusetzen.
1. Burgstuben
Jugend ins Bordell - JUZ in die Burgstuben. Das Haus ist zentral gelegen, Parkplätze sind bereits vorhanden, gute
Verkehrsanbindung durch Nähe zur B 3 und zur Bushaltestelle an der Burg. Das Zielpublikum kann gut angesprochen werden
durch Nähe zum Burggymnasium und es gibt bereits eine
Nachtkonzession. Auch dürfte der Ort bei vielen Friedberger Bürgern einen besseren Ruf haben als das alte JUZ.
2. Zuckerfabrik
Das JUZ in der Zuckerfabrik bietet den Vorteil, die jugendlichen Besucher durch Fabrikathmosphäre schon auf das
Arbeitsleben vorzubereiten. Exzellente Bahnanbindungen nach Bad Nauheim, Gießen, Bad Vilbel. Viel Platz für die
verschiedenen Gruppen (Punks in die Silos, New-Age'ler in den wunderschönen Innenhof etc.). Ebenfalls Platz für
Parkplätze und keine Lärmprobleme mit den Anwohnern (wegen Bahnhof und Fauerbacher Straße). Weiterhin besitzt die
Zuckerfabrik eine ausgefallene Architektur, wobei anzumerken ist, daß leichtverwildertes Industriedesign in den
neunziger Jahren stark im Kommen ist.
3. Landratsamt
Wo zur Zeit noch Politiker klüngeln, könnte in nicht allzuferner Zukunft die Jugend ihr Refugium finden. Ein großes,
zentral gelegenes Gebäude mit einer modernen, gefälligen Architektur, das zudem auch schon über behindertegerechte
Anlagen verfügt. Das Freigelände wird bereits jetzt von den Skate-Boardern sehr gut akzeptiert, deshalb unsere
Forderung: Jugend in die Zentrale der Macht!
4. Augustinerschule
Wenn der Stadtjugendpfleger den Pauker ersetzt - das ist aktive Jugendpolitik. Da die Leitung der Augustinerschule
sowieso Raumnot beklagt, schlagen wir den Umzug in einen Neubau vor, sodaß die Schulgebäude für das JUZ verfügbar
wären. Auch diese Möglichkeit besticht durch immenses Platzangebot und sogar ein Hausmeister ist bereits vor Ort.
5. Bahnhof
Vorschlag Nummer 5 besitzt die wohl idealste Verkehrsanbindung, die ein JUZ haben kann. Gekoppelt mit der bereits stark
erhöhten Lärmunempfindlichkeit der Anwohner fast schon ein Traumstandort. Jugend auf's Abstellgleis? Keine Rede davon.
Der Bahnhof symbolisiert vielmehr die Dynamik und Beweglichkeit der Jugend von heute, ihren Drang nach vorne und zu
neuen Ufern. Das Büro der Jugendpflege und des Stadtjugendrings in ausrangierte Wagen gleich auf Gleis l? Exotisch,
praktisch, gut. Bleibt anzumerken, es wäre darüber nachzudenken, eine Start- und Landebahn für landesfremde Besucher
anzumelden.
6. Adolfsturm
Der Adolfsturm besticht durch Originalität: Was ist schon eine alte Feuerwache gegen einen Turm aus dem Mittelalter,
der mit dem Lösegeld Gustav Adolfs von Schweden erbaut wurde? Dieser historische Ort bietet guten Überblick für
Jugendliche, die diesen verloren haben und ist zugleich für Ortsfremde nicht zu verfehlen. Außerdem bietet er als
Finanzierungshilfe für die Jugendarbeit enorm viel Werbefläche, die sicherlich sehr gewinnbringend an Coca-Cola oder
Licher vermittelt werden könnte. Die alten Gewölbe fördern durch ihr etwas knappes Raumangebot die Kommunikations-und
Kompromißfähigkeit der Jugend - ein pädagogisch interessanter Nebeneffekt. Zusammen mit Schallschutzfenstern bieten
die dicken Mauern den perfektesten Lärmschutz in der Stadt und durch den wunderschönen Weitblick in die Wetterau wird
bei den Besuchern und Nutzern des JUZ eine gesunde Heimatliebe geweckt, verbunden mit Ehrfurcht für die Wunder der
Natur.
7. Kaserne
Wenn die Ray-Barracks in JUZ-Baracken umbenannt werden und das Militär im Zuge der Ost-West-Entspannung den Platz
räumt für die Kinder der Love- und Peace-Generation - ein durchweg verlockender Gedanke, oder? Auch dieses Terrain
besticht durch viel Platz, ein großes Freigelände und hat mit dem Panzerübungsplatz ein gutes Gelände für
Geländemotorräder oder Mountain-Bikes. Auch andere Sport- und Freizeiteinrichtungen inklusive Kirche sind bereits
vorhanden und in bestimmten Fällen von herausragender Bedeutung; die Sicherheit von Besuchern und Anwohnern ist durch
die Nähe der Polizeistation und des Knastes immer gewährleistet. Keine Schlägereien, keine Drogen, keine besoffenen
Randalierer - Friede, Freude, Eierkuchen.
8. Tiefgarage
Schließlich -last but not least- die Tiefgarage. Ein unwirtlicher Ort? Ach woher! Auch hier entfiele eine
Lärmbelästigung der Anwohner (erfahrungsgemäß eines der Hauptprobleme von JUZ'lern) weitestgehend. Für den Fall von
Ausschreitungen oder Razzien ließe sich der Eingang mit schnellschließenden Toren ausstatten; ein perfektes Objekt, um
die Sicherheitsinteressen der Bürger zu berücksichtigen. Im Zuge der Entwicklung Friedbergs hin zu einer autofreien
Innenstadt wird die Tiefgarage sowieso bald nicht mehr als solche gebraucht und ein JUZ unter Tage würde auch unser
malerisches Städtchen nicht so verschandeln, wie das früher der Fall war, als das alte JUZ noch stand. Wo keine
Hauswände sind, kann auch niemand Graffiti's sprühen, deshalb: Kellerkinder in die Tiefgarage.
So weit also die Informationen, die wir bis jetzt aus Magistratskreisen bekommen konnten. Wir sind wirklich froh,
daß sich endlich etwas tut und hoffen auf eure aktive Mitarbeit. Sucht euch euer Lieblingsobjekt aus den hier
vorgestellten aus, und schreibt es mit einer kurzen Begründung auf eine Postkarte. 60 Pf. drauf und (schreib mal
wieder) ab die Post an die Stadtverwaltung Friedberg, z.H. Herrn Mosbach, Postfach, 6360 Friedberg/H.
Eure Burgfest AG (- # -)
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